Rede Karl Starzacher zum Kreisehrenamtstag 2024
Kreisehrenamtstag Landkreis Hersfeld-Rothenburg am 25. August 2024
Festrede von Karl Starzacher zum Thema
"75 Jahre Grundgesetz – Fundament für eine funktionierende Demokratie und eine starke Zivilgesellschaft"
(Es gilt das gesprochene Wort.)
Anrede,
Danke für die Einladung, heute an diesem ganz besonderen Ort anlässlich des Kreisehrenamtstages über 75 Jahre Grundgesetz zu sprechen.
Als Herr Landrat Warnecke mich vor einigen Wochen angerufen und gefragt hat, ob ich bereit sei, heute über „75 Jahre Grundgesetz“ eine Rede zu halten, habe ich gesagt: „Da kann ich nicht ‚nein‘ sagen!“
Früher, in meiner Zeit in der Landespolitik – vor mehr als 25 Jahren – war ich wiederholt in Bad Hersfeld. Ein wichtiges Thema in den Gesprächen mit Herrn Bürgermeister Boehmer war damals die Zukunft der Staatlichen Heilbäder in Hessen!
Und ich habe natürlich auch immer wieder einmal die Festspiele besucht. Auch deshalb ist es für mich eine besondere Freude und Ehre, heute hier an dieser Stelle zu Ihnen sprechen zu dürfen.
Und Herr Landrat Warnecke sagte mir in unserem Telefongespräch: Weil der heutige Anlass ja der Kreisehrenamtstag ist, könne ich in meiner Rede vielleicht auch auf das Ehrenamt zu sprechen kommen.
Also: ich solle keinen Vortrag über das Ehrenamt halten, sondern vielleicht darüber sprechen, welche Bedeutung hat das Ehrenamt in Bezug, im Hinblick auf unser Grundgesetz, das vor 75 Jahren in Kraft getreten ist.
Ich muss gestehen, dass ich mir diese Frage bisher so nie gestellt hatte. Aber ich will es versuchen: über das Grundgesetz und das Ehrenamt zu sprechen!
Anlässlich der 75-jährigen Wiederkehr des Inkrafttretens des Grundgesetzes am 23. Mai dieses Jahres haben zahlreiche Festakte und Veranstaltungen stattgefunden.
Auch hier in Bad Hersfeld: im Internet habe ich einen Zeitungsbericht gesehen, dass die 550 Schülerinnen und Schüler der Geistalschule mit ihren Lehrerinnen und Lehrern den Geburtstag des Grundgesetzes gefeiert haben – mit einer besonderen Formation auf dem Schulhof.
Die Schulleiterin Frau Zimmermann sagte, „das Grundgesetz garantiert uns Freiheit und Wohlstand. Das wollen wir feiern und gleichzeitig innehalten“.
Und die Schülerinnen und Schüler haben auf blaue Zettel geschrieben, was sie am Grundgesetz gut finden.
Zu lesen waren beispielsweise einzelne Artikel wie die Meinungsfreiheit, aber auch, welche Auswirkungen das Grundgesetz auf ihr Leben hat, zum Beispiel, dass sie in einem friedlichen Land leben können und eine Schulbildung bekommen.
Eine schöne Aktion und eine schöne Botschaft!
Bei den Veranstaltungen und Festakten wurden natürlich auch zahlreiche, sehr bedeutsame Reden gehalten: vom Bundespräsidenten, von der Landtagspräsidentin und dem Ministerpräsidenten, dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und vielen anderen Persönlichkeiten.
Aus der einen oder anderen dieser Reden habe ich – weil ich finde, dass man es besser gar nicht sagen kann - auch - das eine oder andere Zitat übernommen. Dafür bitte ich um Verständnis!
Eines haben alle diese Reden gemeinsam: das Lob und die Dankbarkeit für die Mütter und Väter des Grundgesetzes.
Unser Bundespräsident hat es so gesagt:
„In Bewunderung und Dankbarkeit schauen wir auf die Arbeit der Mütter und Väter des Grundgesetzes.
Was sie vor 75 Jahren auf den Weg gebracht haben, ist ein großartiges Geschenk. Ein Geschenk, das nicht nur Erinnerung bleiben darf, sondern das wir im Alltag der Republik, im Alltag der Demokratie pflegen, bewahren und verteidigen müssen.
Ich bin fest davon überzeugt: Diese Verfassung ist es wert, dass wir sie schützen – und dass wir sie feiern!“
Und etwas später: „Ich bin fest davon überzeugt: Diese Verfassung gehört zum Besten, was Deutschland hervorgebracht hat.“
Ich möchte zunächst etwas über die Entstehung unseres Grundgesetzes sagen.
Als die Westalliierten am 1. Juli 1948 die elf westdeutschen Ministerpräsidenten ermächtigten, eine verfassungsgebende Versammlung einzuberufen, ging es darum, zumindest in ihren Gebieten eine einheitliche staatliche Ordnung anzustreben.
Das Ziel war, eine Verfassung nach dem Leitbild einer föderalen demokratisch-parlamentarischen Ordnung zu erarbeiten, das heißt, eine Vorlage der drei westlichen Siegermächte zur Gründung eines westdeutschen Staates.
Frau Landtagspräsidentin Wallmann hat in ihrer Rede anlässlich der Feierstunde im Landtag am 15. Mai dieses Jahres gesagt, das möchte ich noch zitieren:
„Wir müssen mit Blick darauf, dass der von Deutschland geführte Krieg erst wenige Jahre zuvor Millionen von Opfern gefordert hatte, noch heute große Dankbarkeit dafür empfinden, dass sich die westlichen Alliierten im Umgang mit Deutschland nicht von Gedanken der Rache und des Ressentiments leiten ließen, sondern stattdessen die Chancen eines demokratischen Neubeginns eröffneten.“
Die Ministerpräsidenten der in den westlichen Besatzungszonen neu gegründeten (westdeutschen) Länder haben sich dann Anfang Juli 1948 zur sogenannten Rittersturz-Konferenz auf dem ‚Rittersturz‘, einem Aussichtspunkt bei Koblenz, getroffen und ihre Beratungen aufgenommen.
Mit dabei war die kommissarische Oberbürgermeisterin von damals noch Groß-Berlin, Louise Schröder.
Das Saarland war auf der Konferenz nicht vertreten, da das Saarland seit 1947 ein eigenständiger Staat mit Bezug zu Frankreich war.
Das Saarland trat erst zum 1. Januar 1957 aufgrund eines Vertrages zwischen Frankreich und Deutschland der Bundesrepublik bei.
Also: es sollte eine Verfassung für die Bundesrepublik Deutschland erarbeitet werden.
Die Ministerpräsidenten sahen aber die Gefahr, dass mit der Einführung einer Verfassung in den westdeutschen Ländern die Teilung Deutschlands vertieft und die Einheit des Landes gefährdet würde.
Um das zu verhindern, beschlossen sie, statt einer verfassungsgebenden Versammlung einen Parlamentarischen Rat einzuberufen und keine Verfassung, sondern nur, ‚höchstens‘ ein Organisationsstatut oder ein Grundgesetz auf den Weg zu bringen und schließlich zu verabschieden.
Eröffnet wurde der Parlamentarische Rat dann am 1. September 1948 in Bonn. Daran nahmen teil die von den elf westdeutschen Landtagen bestimmten Mitglieder: vier Frauen und 61. Männer!
Außerdem waren dabei 5 nicht stimmberechtigte Mitglieder aus Berlin.
Zum Präsidenten des Parlamentarischen Rates wurde Konrad Adenauer gewählt, der vor der Zeit des Nationalsozialismus (1917 bis 1933) Oberbürgermeister von Köln war und dann der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wurde.
Bedeutende Persönlichkeiten waren Mitglieder des Parlamentarischen Rates. Immer wieder wird an Elisabeth Selbert erinnert, die nach mehreren gescheiterten Abstimmungen und einer öffentlichen Kampagne schließlich die Formulierung „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ in Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes durchsetzen konnte.
Und auch ein Hersfelder gehörte dem Parlamentarischen Rat an, als Schriftführer und Vorsitzender des Ausschusses für Wahlrechtsfragen: Max Becker, der in Bad Hersfeld als Rechtsanwalt und Notar arbeitete und viele Jahre in der Kommunalpolitik, dann in der Landes- und schließlich in der Bundespolitik - als Mitglied des Bundestages – u.a. als Vorsitzender der FDP-Fraktion und als Bundestagsvizepräsident - tätig war.
Die Beratungen im Parlamentarischen Rat waren nicht einfach, nicht nur, soweit es um die Gleichberechtigung der Frauen ging.
Intensiv wurde beispielsweise über die Finanzen gestritten:
Dabei ging es um die Verteilung der Kompetenzen in der Finanzgesetzgebung und Finanzverwaltung und um die Verteilung des Steueraufkommens zwischen Bund und Ländern.
Um diese Beratungen nicht endlos fortzusetzen, drängten schließlich die alliierten Militärgouverneure und die Regierungschefs der Länder auf einen Kompromiss, der dann auch erreicht wurde.
Allerdings: die Schuldenbremse war damals noch kein Thema!
Nach neunmonatiger Beratung lag dem Parlamentarischen Rat schließlich ein Grundgesetzentwurf vor, der am 8. Mai 1949 mit
53 gegen 12 Stimmen angenommen und anschließend von den Landtagen ratifiziert wurde.
Nur Bayern wollte dem so wegen zu geringer föderaler Elemente nicht zustimmen. Aber, um ein Scheitern zu vermeiden, hat Bayern dann entschieden, dass das Grundgesetz auch in Bayern verbindlich sei, wenn es in zwei Dritteln der deutschen Länder angenommen würde!
Und in der 12. und letzten Sitzung des Parlamentarischen Rates am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz dann feierlich verkündet und ist mit Ablauf desselben Tages in Kraft getreten.
Das war zugleich die Gründung der Bundesrepublik Deutschland.
(Die Gründung der DDR erfolgte übrigens erst zum 7. Oktober 1949, auch dort war eine Verfassung – von einem Ausschuss des ‚Deutschen Volksrates‘ – vorher erarbeitet worden. Das ist uns heute in diesen Details nicht mehr bewusst.)
Dass der Parlamentarische Rat keine Verfassung (für die Ewigkeit) sondern – insbesondere im Hinblick auf die Teilung Deutschlands - nur ein Grundgesetz, das Grundgesetz erarbeitet hat, habe ich erwähnt.
Und dass den Müttern und Vätern übereinstimmend dafür gedankt wurde, dass sie uns das Fundament einer neuen freiheitlichen und demokratischen Ordnung gegeben haben.
Und in den Dank einbezogen haben viele Rednerinnen und Redner natürlich auch die, die vor ziemlich genau 35 Jahren die Diktatur in der DDR ‚beendet‘ und die Demokratie in ganz Deutschland möglich gemacht haben.
Unser Bundespräsident hat es so gesagt:
„Grundgesetz und Friedliche Revolution, was ist das für ein Glück, das wir da in unseren Händen halten! Ich hoffe, wir machen uns das immer wieder bewusst.“
Wichtig ist auch, dass wir uns bewusst sind, wann, in welcher politischen Situation das Grundgesetz ‚entstanden‘ ist: es war ein Aufbruch in eine bessere Zukunft!
Noch ein Zitat von Frank-Walter Steinmeier:
„Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates waren geprägt von Diktatur, Krieg und Völkermord. Sie zogen die Lehren aus der Geschichte der Weimarer Demokratie.
Sie einte eine Erfahrung: Im Namen des Staates waren die schlimmsten Verbrechen begangen worden. Die Gefolterten von Dachau und Buchenwald, die Ermordeten von Auschwitz, die Gefallenen von Stalingrad, die Millionen Toten in ganz Europa, sie sollten nicht vergessen werden. Nie wieder sollte ein Staat für solche Verbrechen missbraucht werden. Der Staat sollte für die Menschen da sein, nicht umgekehrt. Nie wieder!“
Der wesentliche Inhalt des Grundgesetzes, sein ‚Kern‘ ist die Verkündung der Freiheit, festgeschrieben, verankert in neunzehn Grundrechten. Und diese Grundrechte sind verbindlich. Und einklagbar.
Und über all dem, was im Grundgesetz geregelt ist, steht ein Satz, in Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Das alles klingt sehr positiv, uneingeschränkt positiv. Aber zugleich ist uns – natürlich – bewusst, dass zwischen der Verfassung, unserem Grundgesetz, und der Verfassungswirklichkeit in vielen Bereichen – wie soll ich es formulieren – eine teilweise nicht unerhebliche Diskrepanz besteht.
Wir nehmen das in unserer Gesellschaft tagtäglich wahr: Antisemitismus, direkt geäußerter Hass auf Andersdenkende, noch immer Benachteiligung und Diskriminierung von Frauen in vielen Bereichen, Angriffe auf Politikerinnen und Politiker, auf Einsatzkräfte, auf Journalistinnen und Journalisten, die wahrnehmbare Verrohung der politischen Auseinandersetzung.
Diese Diskrepanz zwischen unserem Grundgesetz und der Verfassungswirklichkeit berechtigt aber natürlich nicht zur Kritik an unserem Grundgesetz, sondern an der – wenn ich das so sagen kann - täglichen Wirklichkeit.
Denn das Grundgesetz beschreibt ja nicht unsere Wirklichkeit, es ist ein Auftrag. Es ist eine Aufforderung an uns alle. Die im Grundgesetz genannten Werte und Ziele zu achten und zu verwirklichen.
Ich werde Ihnen jetzt nicht die einzelnen Grundrechte vortragen, sondern – wie angekündigt - auf einen Aspekt eingehen, der im Grundgesetz so gar nicht, nicht explizit genannt ist, der aber für die Umsetzung des Grundgesetzes eine ganz wesentliche, unverzichtbare Bedeutung hat.
Das Ehrenamt! Und das gehört dann ja auch ganz besonders zu dem heutigen Kreisehrenamtstag.
Zunächst will ich noch darauf hinweisen, dass das Grundgesetz seit seinem Inkrafttreten vor 75 Jahren insgesamt 67 Mal geändert wurde, zuletzt im Dezember 2022.
Dass das Grundgesetz immer wieder geändert, ergänzt wurde, geändert oder ergänzt werden musste, liegt auf der Hand: seit 1949 hat sich in unserer Gesellschaft, in der Politik so vieles geändert, weiterentwickelt, und entsprechend gab und gibt es auch den entsprechenden Nachbesserungs- und Regelungsbedarf.
Die erwähnte letzte Grundgesetzänderung vor zwei Jahren - da ging es um die Änderung von Artikel 82: die Einführung eines Gesetzesvorbehaltes betreffend die elektronische Verkündung auch von Gesetzen - hat die Öffentlichkeit, wie die meisten sonstigen Grundgesetzänderungen, nicht besonders interessiert. Denn für Änderungen des Grundgesetzes ist jeweils eine 2/3 – Mehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich, das heißt, es gab und gibt in aller Regel ein breites politisches Einvernehmen.
Anders war es – wegen seiner besonderen politischen Bedeutung – mit der Aufnahme der Schuldenbremse in das Grundgesetz!
Die aktuell dazu geführte öffentliche Auseinandersetzung will ich nicht kommentieren. (Als ich 1999 mein Landtagsmandat niedergelegt habe, habe ich mir fest vorgenommen, mich aus der öffentlichen politischen Diskussion herauszuhalten. Weil ich mich früher immer wieder geärgert habe, wenn politische Pensionäre über die Medien kluge Ratschläge gegeben haben. Trotzdem habe ich da natürlich zu vielen Themen, auch zur Schuldenbremse, eine klare Meinung!)
Ich habe darauf hingewiesen, dass das Ehrenamt jedenfalls nicht wörtlich/namentlich im Grundgesetz genannt ist.
Anders ist das in der Hessischen Verfassung. Die Hessische Verfassung ist älter als das Grundgesetz, sie wurde am 1. Dezember 1946 durch eine Volksabstimmung in Kraft gesetzt.
Der 1. Dezember 1946 war auch der Tag der ersten Landtagswahl nach dem Zweiten Weltkrieg und damit der Beginn der 1. Wahlperiode nach 1945. Änderungen der Hessischen Verfassung sind ebenfalls nur im Rahmen einer Volksabstimmung möglich.
Und im Oktober 2018 wurde durch eine Volksabstimmung das Ehrenamt als neues, als ein weiteres Staatsziel mit großer Mehrheit – 89 % der Bürgerinnen und Bürger, die an der Volksabstimmung teilgenommen haben, haben mit ‚ja‘ gestimmt, in die Verfassung aufgenommen.
Der neue Artikel 26 f der Hessischen Verfassung lautet: „Der ehrenamtliche Einsatz für das Gemeinwohl genießt den Schutz und die Förderung des Staates, der Gemeinden und Gemeindeverbände.“
In der Begründung des Hessischen Landtages des Gesetzes, mit dem die Volksabstimmung auf den Weg gebracht wurde (CDU, SPD, GRÜNE, FDP und die Abg. Frau Öztürk – bei Enthaltung der Fraktion DIE LINKE), heißt es:
„Mit dem neuen Artikel 26 f sollen Schutz und Förderung des Ehrenamtes als Staatsziel in die Verfassung aufgenommen werden. Damit soll der besonderen Bedeutung Rechnung getragen werden, die das ehrenamtliche Engagement für eine menschliche und solidarische Gesellschaft sowie für die Festigung des demokratischen Gemeinwesens hat.
Staat, Gemeinden und Gemeindeverbände würden dazu verpflichtet, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten und finanziellen Möglichkeiten der Förderung und Unterstützung von ehrenamtlichen Tätigkeiten für das Gemeinwohl besonderes Gewicht beizumessen.“
Aus dieser Begründung wird deutlich, dass es sich nicht um ein Grundrecht, sondern um ein Staatsziel handelt!
Ich habe recherchiert und festgestellt – Irrtum vorbehalten -, dass nur in 6 Bundesländern das Ehrenamt (als Staatsziel) in der Verfassung genannt ist, in 2 Bundesländern wurde es – Vorbild Hessen?! – erst in diesem Jahr in die Verfassung aufgenommen (Saarland und Thüringen). (Und in Berlin wird darüber eine Diskussion geführt.)
Aber in allen anderen Bundesländern gibt es gesetzliche Bestimmungen unterhalb der Verfassungsebene, in denen das Ehrenamt ‚geregelt‘ ist.
Nur nicht im Grundgesetz!
Gleichwohl hat das Ehrenamt auch für die Entscheidungsträger auf Bundesebene den erforderlichen hohen Stellenwert.
Nur als ein Beispiel nenne ich die Errichtung der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt, die durch ein entsprechendes Gesetz vor etwas mehr als 4 Jahren errichtet wurde.
Und im Grundgesetz ist beispielsweise geregelt, „alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden“, Art. 9 GG. Dabei handelt es sich um ein Grundrecht, und natürlich war auch den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates bewusst, dass ein Vereinsleben ohne ehrenamtliches Engagement nicht vorstellbar wäre.
Darüber hinaus gibt es mehrere Initiativen der Bundesregierung, etwa die Kampagne „Ehre wem Ehre gebührt“ im Zusammenhang mit dem Tag des Ehrenamts am 5. Dezember.
Oder das Programm „Demokratie leben“ des Bundesfamilienministeriums und das Programm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ des Bundesinnenministeriums.
Zu Beginn habe ich gesagt, dass in allen Reden zum 75-jährigen Bestehen des Grundgesetzes den Müttern und Vätern des Grundgesetzes für dieses Werk gedankt wurde.
Danke, ein herzliches Wort des Dankes, gebührt ganz besonders auch allen Bürgerinnen und Bürgern, die sich ehrenamtlich engagieren. Und deswegen möchte ich auch Ihnen von dieser Stelle aus ein herzliches Dankeschön für Ihr großes ehrenamtliches Engagement aussprechen: Danke!
Und: Danke an den Landkreis Hersfeld-Rotenburg, an den Landrat und die Mitglieder in den Kreisgremien für die Unterstützung des ehrenamtlichen Engagements, ganz besonders auch für diesen Kreisehrenamtstag!
Theodor Heuss, unser erster Bundespräsident, hat einmal gesagt:
"Demokratie lebt vom Ehrenamt".
Unsere Gesellschaft, unser Gemeinwesen, bietet viele Freiheiten.
Und gerade diese Freiheitlichkeit bietet den Rahmen, „dass ehrenamtliche Arbeit geleistet wird, ohne dass der Staat darauf Einfluss nimmt oder ohne dass er davon überhaupt Kenntnis erhält.
Mit der Wahrnehmung ehrenamtlicher Aufgaben füllen Sie, die Bürgerinnen und Bürger, tatsächlich Freiräume aus; Freiräume, die auch keineswegs selbstverständlich sind, sondern die immer wieder gesichert und erhalten werden müssen.“ (Zitat Roman Herzog in einer Rede im Dezember 1997.) Und weiter (Roman Herzog):
„Unser Gemeinwesen lebt von der Mitwirkung und Mitgestaltung seiner Bürgerinnen und Bürger. Die Vielzahl sowohl wie die Vielfalt der freiwilligen Tätigkeiten bestimmen die Lebensqualität in unserem Lande mit.
Sich aus freien Stücken für die Allgemeinheit einzusetzen, oder auch nur "für den Nächsten", das ist Ausdruck von Verantwortungs-bereitschaft und von Solidarität für die Gemeinschaft.“
Es gibt auch die andere Seite: Der Staat, die Länder, die Kommunen können ja gar nicht alle Aufgaben alleine leisten.
Es würde sie beispiellos überfordern. Und deshalb sind sie auf das ehrenamtliche Engagement der vielen Bürgerinnen und Bürger dringend angewiesen.
Das ehrenamtliche Engagement ist (in aller Regel) uneigennützig.
Roman Herzog hat aber einmal gesagt: „Ganz uneigennützig ist ehrenamtliche Arbeit übrigens (auch) nicht. Denn uneigennütziges Handeln bereichert immer auch das eigene Leben. Es vermittelt die Genugtuung und das Bewusstsein, gebraucht zu werden, etwas zustande bringen zu können. Das ist eine Triebfeder, die man nicht unterschätzen sollte.“
Das ist sicher zutreffend.
Etwa 28,8 Millionen Menschen in Deutschland engagieren sich Tag für Tag freiwillig für das Gemeinwohl – ohne Bezahlung, in ihrer Freizeit. Sie übernehmen wichtige Aufgaben, die der Staat, ich habe es gerade gesagt, alleine nicht leisten kann. Und das, das muss ich Ihnen nicht sagen, in ganz vielen Bereichen!
(Es gibt übrigens spannende Statistiken, beispielsweise in welchen Bereichen sich welche Altersgruppen oder Frauen und Männer besonders stark engagieren.)
Auf einige Bereiche möchte ich noch hinweisen, für die das ehrenamtliche Engagement eine besondere Bedeutung hat.
Dabei möchte ich zunächst über das soziale Ehrenamt sprechen, das für unsere Gesellschaft eine ganz besondere Bedeutung hat:
die darin zum Ausdruck kommende praktizierte Nächstenliebe, das menschliche Miteinander ist beispielsweise im Pflegebereich, bei der Integration, der Betreuung und Unterstützung behinderter, beeinträchtigter Menschen oder gar beim Hospizgedanken von unschätzbarem Wert.
Und es ist erfüllend, das Leben Anderer leichter und besser zu machen. Nicht unerwähnt bleiben darf hier, dass manche Personen, die sich ehrenamtlich engagieren, damit auch an ihre Belastungsgrenzen kommen!
Aber natürlich geht die freiwillige und ehrenamtliche Arbeit weit über den sozialen Bereich hinaus. Sie betrifft nahezu alle Bereiche unserer Gesellschaft und unseres Staates.
Ohne jetzt eine Wertung oder Gewichtung vorzunehmen, nenne ich einige Bereiche, in denen das ehrenamtliche Engagement von ganz besonderer Bedeutung ist, darunter sind Bereiche, die ohne die ehrenamtliche Unterstützung existenzielle Probleme hätten. Eigentlich sind es die allermeisten!
Das ist die ehrenamtliche Arbeit in den Sportvereinen, bei den Freiwilligen Feuerwehren, den Rettungsdiensten, Erste Hilfe und dem Katastrophenschutz, in der Politik, der kommunalen Selbstverwaltung, der Kultur, der Justiz, in den Kirchen und Religionsgemeinschaften, der Jugendarbeit, dem Umwelt- und Naturschutz, der Integration von Geflüchteten, der Entwicklungszusammenarbeit, der Wiedereingliederung von Straftätern, den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden und so weiter und so weiter!
(Ich selbst habe übrigens während meiner Schulzeit angefangen, mich ehrenamtlich zu betätigen, als Klassensprecher. Und – so steht es in meinem Tagebuch aus dem Jahr 1959 – als Spendensammler für den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, für den ich noch heute ehrenamtlich tätig bin!)
Alle genannten Bereiche – und es gibt noch viele mehr – werden zu einem nicht unwesentlichen Teil getragen von der ehrenamtlichen Arbeit.
„Die Möglichkeiten des freiwilligen, ehrenamtlichen Engagements in Deutschland sind breit gefächert und in nahezu allen Lebensbereichen gegeben.“
Und so könnte man umgekehrt die Frage stellen: was wäre, wenn es dieses herausragende ehrenamtliche Engagement nicht geben würde?
Mit den Sportvereinen? Den Feuerwehren? Den zahlreichen gemeinnützigen Organisationen? Gäbe es sie überhaupt noch?
Auf einen Punkt möchte ich abschließend kurz hinweisen:
auch die ehrenamtliche Tätigkeit ist von einem gesellschaftlichen Wandel betroffen.
Die Bereitschaft zum ehrenamtlichen Engagement ist in manchen Bereichen geringer geworden.
Ich weiß, dass manche Vereine heute intensiver als früher nach Mitgliedern suchen, die bereit sind, in ihrem Verein Verantwortung zu übernehmen.
Politische Parteien suchen intensiver als früher nach möglichen Kandidatinnen und Kandidaten für anstehende Wahlen zu Gemeindevertretungen und Ortsbeiräten.
Weitere Beispiele könnte ich nennen … !
Ich kann keinen Rat geben, wie dieses Problem gelöst werden kann. Aber sicher müssen wir, die in den unterschiedlichen Organisationen und Gremien Verantwortlichen, darüber nachdenken, wie wir das ehrenamtliche Engagement für die jüngere Generation mit ihren zum Teil neuen ‚Lebensformen‘ / Verhaltensweisen und veränderten Kommunikationsstrukturen und Anschauungen so attraktiv machen, dass sie bereit sind, im ehrenamtlichen Bereich auch Führungsaufgaben zu übernehmen.
Ich bin fest davon überzeugt:
Das ehrenamtliche Engagement wird auch in Zukunft eine der tragenden Säulen unserer Gesellschaft, unserer Demokratie sein.
Dafür danke auch ich Ihnen noch einmal sehr herzlich!
Wir brauchen Sie! Danke!